Straße im Fokus:
warum eigentlich...
Gruberbeerig?
Wer heute am „Gruberbeerig“ spaziert, das soziokulturelle Zentrum Prabbeli besucht oder durch den Jardin de Wiltz schlendert, begegnet einem Namen, der wie selbstverständlich zum Stadtbild gehört. Doch warum heißt dieser markante Hang der Oberstadt eigentlich Gruberbeerig? Die Antwort führt uns weit zurück – zu einer Zeit, in der am Fuß des Burrebeerig das Herz des Wiltzer Brauwesens schlug.
Eine Brauerei mit Weitblick – und mit viel Wasser
Der Ursprung des Namens führt ins Jahr 1838, als Jean-Michel Gruber die Brauerei Pauly in Niederwiltz übernahm und nur sechs Jahre später am heutigen Gruberbeerig eine moderne Brauerei mit Brennerei gründete. Der Standort war ideal, denn direkt gegenüber lag der ergiebigste Brunnen der Stadt – ein unschätzbarer Vorteil in Zeiten, in denen Trinkwasser mühsam geschöpft wurde und viele Quellen in Trockenjahren versiegten. Die Brauerei entwickelte sich rasch zu einem bedeutenden Familienbetrieb: Zwei große Braukessel und drei Brennkessel waren im Einsatz, und 1913 gehörte der Brauerei Gruber einer der insgesamt 4 Lastwagen in ganz Wiltz. Für Familie, Arbeiter und Lieferanten war „op de Gruber“ längst ein fester Begriff.
Zuflucht während dunkler Zeiten
Besonders eindrucksvoll ist die Rolle des Gruberbeerig in den Jahren 1944/45. Während der Ardennenoffensive verwandelten sich die riesigen Brauereikeller in lebensrettende Schutzräume. Hunderte Menschen verbrachten hier Wochen voller Angst, Hoffnung und Gemeinschaft. In einer dramatischen Nacht wurde sogar der alte Eiskeller mit Pumpen und Eimern trockengelegt, um ihn als sicheren Bunker nutzen zu können. Ein Priester feierte dort eine unvergessliche Christmesse, während draußen die Granaten einschlugen.
Nachkriegszeit und Niedergang einer Tradition
Nach dem Krieg nahm die Brauerei ihren Betrieb wieder auf und belieferte vor allem Gastwirtschaften im Norden. Doch der wirtschaftliche Wandel machte auch vor dem Gruberbeerig nicht halt. 1956 übernahm die Brauerei Mousel den Betrieb und die Anlagen wurden modernisiert, das Personal reduziert und die Produktion kurzfristig auf 10.000 Hektoliter gesteigert. Interne Unstimmigkeiten und ein schwieriger Markt führten dazu, dass die Produktion 1969 eingestellt wurde und ein beeindruckendes Kapitel ging zu Ende.
Vom Bier zum Begegnungsort
Anschließend änderte sich die Geschichte des Areals, aber nicht seine Bedeutung. In den 1980er-Jahren entstand hier der Jardin de Wiltz, ein Kunst- und Integrationsprojekt, aus dem später die Vereinigung Coopérations asbl hervorging. Die alten Brauereigebäude wurden restauriert, zu Werkstätten, Veranstaltungsräumen und einer Jugendherberge umgebaut. Und schließlich wurde 2004 das Prabbeli eröffnet, ein modernes sozio-kulturelles Zentrums, das Kunst, Kino, Gastronomie und Gemeinschaft unter einem Dach vereint. So wurde aus dem Ort der Braukunst ein Ort des Miteinanders.
Ein Name, der Wiltzer Geschichte erzählt und Zeichen der Erinnerung
Der Name „Gruberbeerig“ ist heute weit mehr als eine Straßenbezeichnung: Er erinnert an 125 Jahre Brautradition, an Schicksale in Kriegszeiten und an die Idee, aus Industriegeschichte neue kulturelle Kraft zu schöpfen. Wer den Hang hinauf- oder hinuntergeht, bewegt sich auf Spuren, die tief im Wiltzer Gedächtnis verankert sind. Dass der Name lebendig blieb, ist kein Zufall: Nach der Fusion von Wiltz und Eschweiler benannte der Gemeinderat am 2. Februar 2015 die frühere Rue de la Montagne einstimmig in Gruberbeerig um. Die Straße, die bei der Place des Martyrs beginnt und den Burrebeerig hinaufführt, soll bewusst an ein zentrales Kapitel der Wiltzer Industriegeschichte erinnern – als Denkmal für das industrielle, soziale und kulturelle Erbe unserer Stadt.
Von der „Brauereistrooss“ zur Erinnerung an einen Député-Maire
Wer in Wiltz von der „Brauereistrooss“ spricht, meint damit die heutige „Rue Joseph Simon“. Jahrzehntelang trug sie offiziell den Namen „Rue de la Brasserie“, bevor der Gemeinderat am 4. April 1965 einstimmig beschloss, sie zu Ehren des früheren Bürgermeisters Joseph Simon umzubenennen. Die Entscheidung würdigte nicht nur seine Verdienste um die Gemeinde, sondern verknüpfte den Straßennamen auch mit einer Familie, die tief in der Wiltzer Geschichte verwurzelt ist.
Ein Leben für Wiltz
Joseph Simon wurde am 30. August 1886 in Wiltz geboren. Am 30. Oktober 1917 trat er zum ersten Mal ins kommunale Rampenlicht und wurde in den Gemeinderat gewählt – zu einer Zeit, in der das allgemeine Wahlrecht noch nicht eingeführt war.
In den folgenden Jahren gewann er stetig an Zustimmung, wurde 1920, 1924 und 1928 jeweils mit höheren Stimmenzahlen wiedergewählt. 1934, nach seiner fünften Wahl, trat er die Nachfolge von François Lambert als Bürgermeister an.
Sein erstes Mandat als Bürgermeister dauerte von Anfang 1935 bis Juli 1941. In dieser Zeit wurde Luxemburg von den Nationalsozialisten besetzt. Gewählte Gemeinderäte wurden abgeschafft, und in Wiltz setzten die Besatzer zwei Amtsbürgermeister ein.
Nach der Befreiung durch die amerikanischen Truppen am 10. September 1944 kehrte Joseph Simon an die Spitze des Rathauses zurück. Er führte die Gemeinde auch während der Ardennenoffensive im bitterkalten Winter 1944/45 – eine Zeit, in der Wiltz schwer zerstört wurde. Ende 1945 legte er sein Amt nieder.
Doch die Politik blieb sein Zuhause: 1946 und 1952 wurde er erneut gewählt. Insgesamt tagte er 34 Jahre lang im Gemeinderat und vertrat Wiltz zudem 18 Jahre in der Abgeordnetenkammer – jeweils neun Jahre vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, für die damalige Rechtspartei, später für die CSV.
Als Joseph Simon am 23. September 1954 verstarb, erwies ihm die Bevölkerung von Wiltz die letzte Ehre. Ein eindrucksvoller Trauerzug, angeführt von der Musikgesellschaft „Concordia Niederwiltz“, deren Präsident er seit 1921 gewesen war, bewegte sich über die Niederwiltzer Brücke und die „Lann“ hinauf zum Friedhof. Die große Anteilnahme zeigte, wie sehr er in der Bevölkerung verankert war.
Die Brauerei – ein Familienerbe
Neben seiner politischen Tätigkeit leitete Joseph Simon von 1938 bis zu seinem Tod auch die traditionsreiche Brasserie Simon, die fest zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben von Wiltz gehört.
Nach ihm übernahm seine Tochter Jacqueline Simon, die 1938 den Belgier Charles Fontaine geheiratet hatte. Sie führte die Brauerei 21 Jahre lang und modernisierte den Betrieb Schritt für Schritt.
1975 übergab Jacqueline Simon an ihren jüngsten Sohn Jacquot Fontaine. Unter seiner Leitung wuchs die Produktion, 1981 beschäftigte die Brauerei 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und stellte rund 25.000 Hektoliter Bier pro Jahr her und führte neue Sorten wie Simon Régal und Simon Dinkel ein.
Die fünfte Generation am Steuer
2003 stieg Betty Fontaine, die Tochter von Jacquot und Urenkelin von Joseph Simon, in die Unternehmensführung ein und führt sie die Brasserie Simon seit Dezember 2007 allein – damit in fünfter Generation. Unter ihrer Leitung bleibt die Brauerei ein wichtiger Arbeitgeber in der Region und ein Aushängeschild für Wiltzer Braukunst.